Kapitel 3 Spiegelbild
Angesichts von Harrisons Fragen zwang sich Mandy zu einem unbeholfenen Lächeln. Um ihre Ziele zu erreichen, milderte sie ihren Ton.
„Harrison, das habe ich nicht gemeint. Ich war nur besorgt um Lily und habe ohne nachzudenken gesprochen“, erklärte sie. „Ich bin ihre Mutter – wie könnte mir ihre Gesundheit egal sein? Wenn ich könnte, würde ich ihr mein eigenes Herz geben.“
Ihre Worte klangen hohl. Selbst sie konnte die Falschheit darin spüren, aber sie hoffte, dass Harrison die Erklärung akzeptieren würde.
Harrison ließ das Thema fallen, zog einen Stuhl heran und setzte sich mit Lily auf dem Arm. Er kümmerte sich sorgfältig um sie, fütterte sie sogar Stück für Stück mit Obst, aus Angst, sie könnte sich verschlucken.
Als Mandy Harrisons Zärtlichkeit gegenüber Lily beobachtete, verspürte sie einen Anflug von Eifersucht. Das kleine Gör hatte einfach Glück gehabt – was hatte sie getan, um Harrisons Verehrung zu verdienen?
Harrison hatte geplant, vor dem Operationssaal auf Ella zu warten, aber während des Wartens erhielt er einen dringenden Anruf von seiner Firma, der seine sofortige Aufmerksamkeit erforderte.
Als die Situation angespannt wurde, erkannte Mandy die perfekte Gelegenheit. Wenn sie die erste wäre, die mit Dr. Johnson Kontakt aufnahm, würde alles unter ihrer Kontrolle sein.
Mandy stellte sich neben Harrison und schlug sanft vor: „Harrison, die Angelegenheiten in der Firma sind dringend. Du solltest dich darum kümmern. Ich bleibe hier und warte. Mach dir keine Sorgen, ich werde mich um Lily kümmern, und sobald Dr. Johnson herauskommt, werde ich sie bitten, Lily zu untersuchen.“
Angesichts der dringenden geschäftlichen Angelegenheit war Harrison tief hin- und hergerissen. Nach Abwägung seiner Optionen nickte er schließlich zustimmend, übergab Lily an Mandy und eilte mit Simon aus dem Krankenhaus.
Im Operationssaal waren Elena und Nathan voll auf die Operation konzentriert. Draußen tippte Connor intensiv auf seinem Laptop, während Mia in ein Handyspiel vertieft war.
„Mia“, sprach Connor plötzlich, „Mama hat gesagt, wir haben eine Schwester in Pinewood City. Wie kann ich sie finden?“
Mia blickte von ihrem Spiel auf und warf Connor einen beiläufigen Blick zu: „Bist du nicht der selbsternannte kleinste Hacker der Welt? Jemanden zu finden sollte für dich doch nicht schwer sein, oder? Da sie unser Drilling ist, muss sie uns sehr ähnlich sehen. Warum nutzt du nicht Big Data-Vergleiche? Vielleicht findest du sie so.“
Connors Augen leuchteten auf. „Mia, du bist so schlau!“
Mia lächelte selbstgefällig, bevor sie sich wieder ihrem intensiven Spielkampf widmete. Im Spiel kommandierte sie andere Spieler: „Hühner, folgt dem Boss! Ich werde euch beschützen.“ Ihr Spielname war genau „Der Boss“. Während Connor weiter tippte, staunte er insgeheim: Ein fünfjähriges Mädchen, das sich „Der Boss“ nennt, nur weil sie gut in Spielen ist?
Manchmal konnte Connor wirklich nicht verstehen, warum Mia so selbstbewusst war, als wäre sie dazu geboren, eine Anführerin zu sein.
Die heutige Operation erforderte viel Zeit.
Connor und Mia blieben im Wartebereich vor dem Operationssaal, jeder beschäftigt mit seinen eigenen Aktivitäten. Trotz ihres jungen Alters hatten sie sich an den vollen Terminkalender ihrer Mutter gewöhnt.
In der Zwischenzeit warteten Mandy und Lily vor dem Operationssaal. Lily schaute schüchtern zu Mandy, die auf ihr Handy fokussiert war und offenbar mit jemandem chattete. Nach einem kurzen Zögern rief Lily leise: „Mama.“ Mandy zeigte keine Reaktion.
Lily erhob ihre Stimme leicht und rief erneut: „Mama.“ Sie konnte es nicht mehr zurückhalten – sie musste dringend auf die Toilette und ihr Bauch tat höllisch weh.
Mandy blickte ungeduldig auf und sagte scharf: „Was ist? Du rufst, als würdest du einen Geist beschwören. Sag es einfach, stör mich nicht.“
Ohne Zuschauer konnte sie sich nicht die Mühe machen, die Fassade einer fürsorglichen Mutter aufrechtzuerhalten.
Lily zog sich zurück, hielt sich den Bauch und sagte schüchtern: „Mama, mein Bauch tut weh und ich muss auf die Toilette. Kannst du mitkommen?“
Mandy runzelte die Stirn, offensichtlich verärgert: „Du bist fünf Jahre alt und kannst immer noch nicht alleine auf die Toilette gehen? Muss ich dir auch den Hintern abwischen? Hat dir deine Kindergärtnerin nichts beigebracht? Was kannst du sonst noch außer Ärger machen?“
Lily's Augen füllten sich mit Tränen, während sie stammelte: „Ich... ich...“
Mandy wurde noch gereizter, ihr Ton war eisig: „Alles, was du tust, ist weinen, als würde ich dich misshandeln. Geh alleine auf die Toilette. Wenn ich nochmal Tränen sehe, werde ich dich schlagen. Halte diese Tränen zurück!“
Damit packte sie Lily's Arm und zog sie halb zur Toilette. Ihr Griff war so grob, dass er rote Spuren auf Lily's Arm hinterließ. Trotz des Schmerzes wagte Lily keinen Laut von sich zu geben und biss sich auf die Lippe, während sie folgte.
Am Eingang der Toilette stieß Mandy Lily hinein und zog dann ihr Handy heraus, um weiter zu scrollen, ungeduldig drängend: „Beeil dich, lass mich nicht zu lange warten. Wenn Entführer dich mitnehmen, werde ich mich nicht darum kümmern.“
Lily wagte es nicht, sie erneut zu stören und ging vorsichtig in die Toilette. Sie war seit ihrer Kindheit schwach und wurde im Alter von einem Jahr mit einer schweren Herzerkrankung diagnostiziert. Ihre Familie hatte sie immer sorgfältig geschützt – sogar beim Toilettengang begleitet – aus Angst, dass eine falsche Haltung Herzprobleme auslösen könnte. Daher waren Lily's Selbstpflegefähigkeiten schwach und sie war kleiner als Kinder ihres Alters.
Sie wankte in eine Kabine und kämpfte damit, die Tür zu öffnen.
In diesem Moment ging Mia, die zu viel Wasser getrunken hatte, ebenfalls zur Toilette. Sie legte ihr Handy weg, sagte Connor, wohin sie ging, und lief direkt zur Toilette. Mia war immer unabhängig gewesen und brauchte nie Begleitung für irgendetwas.
Sobald sie eintrat, sah Mia ein Mädchen, das etwas kleiner als sie selbst war, mit tränenden Augen und hochgezogenen Hosen. Sie betrachtete das Mädchen sorgfältig und war erstaunt, wie ähnlich sie sich sahen – wie ein Spiegelbild.
Lily erstarrte ebenfalls und starrte Mia erstaunt an.
Noch zufälliger war, dass beide Mädchen an diesem Tag identische weiße Hemden und Hosen trugen, mit der gleichen Frisur und identischem Hautton.
Mia's Gedanken rasten: Könnte das die vermisste Schwester sein? Aber warum war sie kleiner als sie selbst? Mia's Gehirn versuchte schnell, dieses Phänomen zu erklären.
Sie beschloss, direkt zu fragen. Sie nahm Lily's Hand, zog sie zum Spiegel und zeigte auf ihre nahezu identischen Gesichter, die dort reflektiert wurden, und fragte: „Wir sehen uns wirklich ähnlich, oder?“ Mia's Ton war freundlich und selbstbewusst, um das verängstigte Mädchen zu beruhigen.
Lily nickte schüchtern und antwortete: „Ja.“ Sie fühlte ein seltsames Gefühl der Sicherheit.
Aufregung blitzte in Mia's Augen: „Also könnten wir Schwestern sein?“ Diese Entdeckung machte Mia sowohl aufgeregt als auch begeistert.






























































































































































































