5 - Ein-Dollar-Schein
Nathan erwachte, als die Sonnenstrahlen durch die Jalousien des Fensters fielen. Es war fast Mittag. Die Ereignisse der letzten Nacht spielten sich vor seinem inneren Auge ab, während er mit gemischten Gefühlen die nackte Frau neben sich anstarrte. Eine Falte legte sich über seine schönen Gesichtszüge, als er zum Telefon griff. Ein paar Minuten später klopfte es an der Tür. Er stand auf, schlüpfte in seine Boxershorts und öffnete. Ein Mann reichte ihm eine Papiertüte.
Er ging zum Kühlschrank, um sich eine Flasche Wasser zu holen. Nachdem er beides auf den Nachttisch gestellt hatte, zog er sich an und setzte sich auf das luxuriöse Sofa. Sein Blick wich nicht von ihr. Er würde sie nicht entkommen lassen, nur damit sie ihn später mit einer unangenehmen Überraschung aufsuchte.
Mercedes erwachte durch das Klingeln ihres Handys. Heftige Kopfschmerzen hämmerten in ihrem Schädel, während sie mit den Augen hin und her wanderte, auf der Suche nach ihrem Telefon. Ihr langes Haar war zerzaust, als sie sich aufsetzte. Das unbekannte Luxuszimmer löste eine Panikattacke in ihr aus, ihr Magen drehte sich um, aber nicht so sehr wie die Schmerzen in ihrem Körper und tief in ihr.
Alles fühlte sich wund an. Sie entdeckte ihre Handtasche auf dem Nachttisch, daneben ein Glas Wasser und eine Pille. Sie griff nach der Tasche, zog ihr Handy heraus und nahm den Anruf entgegen. „Wo bist du, Mercedes?“, klang Griffins besorgte Stimme durch den Hörer.
„Ich weiß es nicht“, antwortete sie und erinnerte sich dann daran, wie er Penelope mit in den Club gebracht und sie damit in dieses Schlamassel gestürzt hatte. Das machte sie wütend. „Ich rufe dich später zurück.“
„Leg nicht auf.“ Griffin versank in Schuldgefühlen. Er hatte seine Libido nicht unter Kontrolle gehabt und den Club verlassen, ohne sich zu vergewissern, dass seine beste Freundin in Sicherheit war. Wie könnte er sich jemals verzeihen, nachdem er festgestellt hatte, dass sie nicht nach Hause gekommen war? Was, wenn ihr etwas Schreckliches zugestoßen war? Nichts konnte seine Angst und Sorge lindern. „Ich finde dich.“
Mercedes war leicht gereizt und konnte keinen klaren Gedanken fassen. „Wie willst du mich finden, wenn ich nicht einmal weiß, wo ich bin? Mach dir keine Sorgen, mir wird es gut gehen.“ Sie beendete das Gespräch.
„Nimm die Pille auf dem Nachttisch und lass uns reden“, ertönte eine tiefe Stimme hinter ihr. Sie zuckte leicht zusammen. Sie hatte seine Anwesenheit zuvor nicht bemerkt. Sie wirbelte herum und traf auf den intensiven Blick eines gut aussehenden Mannes, der auf dem Sofa saß, als gehöre ihm die ganze Welt. Sofort erinnerte sie sich an alles, was letzte Nacht passiert war. Wie sie die dumme Mutprobe angenommen hatte und sie hätte schwören können, dass Penelope sie unter Drogen gesetzt hatte. Aber war es nicht ihre eigene Dummheit gewesen? Wie konnte sie etwas trinken, das Penelope ihr anbot?
Was sie jedoch nicht verstand, war, warum dieser Mann sie ausgenutzt hatte. Sie erinnerte sich, dass er keine Frau in seiner Nähe duldete, und sie hatte erwartet, dass er sie wegschicken würde, als sie ihn küsste, aber stattdessen hatte er alles so weit getrieben. „Was für eine Pille ist das?“, fragte sie und behielt den gereizten Ton in ihrer Stimme bei, während sie das Bettlaken benutzte, um ihren nackten Körper zu bedecken. Schmerz, Scham, Wut – alles zusammen zermürbte sie.
„Bist du so dumm? Was für eine Pille nimmt man nach ungeschütztem Sex?“ Mercedes spürte, wie ihr Herz stehen blieb. Sie presste die Kiefer so fest aufeinander, dass ihre Zähne mahlten. Er war so unhöflich und arrogant, dass sie stinksauer wurde. Nicht in ihren kühnsten Träumen hätte sie sich vorgestellt, Opfer von jemandem zu werden, der sie unter Drogen setzt.
„Keine Sorge, wir sind beide erwachsen, aber ich kann dir versichern, dass ich kein uneheliches Kind in meinem Bauch tragen werde“, fauchte sie mit zusammengebissenen Zähnen und begann, nach ihrer Kleidung zu suchen, die überraschenderweise ordentlich am Fußende des großen Bettes zusammengelegt war.
„Das reicht nicht. Beweis es mir. Nimm die Pille.“ Nathan erhob sich mit einem tödlichen Blick vom Sofa. Diese Frau würde ihn später mit irgendeiner ungewollten Schwangerschaft aufsuchen, und er würde ihr nicht die geringste Chance dazu geben.
Mercedes blieb trotzig. „Ich traue der Herkunft der Pille nicht. Es könnte Gift sein oder sonst was.“
„Wenn du jemanden mit einer ungewollten Schwangerschaft erpressen willst, dann zähl mich nicht dazu.“
Mercedes kochte, ihre Wut war unverkennbar. Wenn sie Geschichten von Leuten hörte, die neben einem Fremden aufwachten, hätte sie nie gedacht, dass sie eine von ihnen sein würde. Sie musste ihre Deckung fallen gelassen haben, weil ihr bester Freund da war und sie ihm vertraute, dass er sie beschützen würde, aber in diesem Moment hatte er sie im Stich gelassen. „Ich möchte mich anziehen, also entschuldige mich bitte“, spottete sie. Mercedes akzeptiert niemals eine Niederlage. Trotz allem hob sie immer noch stolz den Kopf.
„Ich habe schon alles gesehen, was gibt es also zu verstecken?“, erwiderte Nathan spöttisch. Es schien, als hätte Mercedes ihren Meister gefunden, denn auch Nathan war keiner, der eine Niederlage hinnahm. Außerdem fürchteten ihn die Frauen. Sogar seine männlichen Kollegen taten das. Dies war die erste Frau, die ihm gegenüber eine solche Haltung an den Tag legte, und das konnte er nicht akzeptieren.
Als Mercedes sich verzweifelt umdrehte, ließ sie das Laken fallen, das sie bedeckte. Nathans Miene verfinsterte sich, als er Blutflecken sah. Seine Augen verengten sich verwirrt. Konnte sie so unschuldig sein, wie sie behauptete? Er hatte ihr erstes Mal genommen, aber sie hatte es gewollt. Sie hatte alles initiiert. Sie schien unter Drogen gestanden zu haben, und wenn er es nicht getan hätte, wäre sie verrückt geworden. Rein technisch betrachtet hatte er ihr das Leben gerettet.
Nun, er durfte sich keinerlei Reue gestatten. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, keiner Frau jemals zu trauen. Während er in seinen Gedanken schwelgte, hatte Mercedes sich fertig angezogen und war zur Tür geschlendert. Er holte sie mit schnellen Schritten ein. „Findest du nicht, es ist ein bisschen schäbig, das Opfer zu spielen, nachdem du einen Mann verführt hast?“ Sein intensiver Blick bohrte sich in ihren.
Mercedes fühlte sich, als wäre ein Eimer kaltes Wasser über ihr ausgeschüttet worden, doch sie fasste sich schnell wieder. „Oh, so habe ich das nie gesehen.“ Ihr Ton war überraschend ruhig. „Ich dachte, es wäre eine gegenseitige Vereinbarung, aber da du das nun klargestellt hast, hier“, sie griff in ihre Handtasche und bemerkte, dass sie außer einem Dollarschein kein Bargeld dabeihatte. In Gedanken verfluchte sie sich, bevor sich ein übler Plan in ihrem Kopf breitmachte.
„Das ist die Bezahlung für deine Dienste. Nun, deine Leistung lag unter dem Durchschnitt eines echten Mannes, also ist das, was du verdienst.“ Nachdem sie das gesagt hatte, warf sie ihm den Ein-Dollar-Schein ins Gesicht und humpelte aus der Tür. Sie hatte starke Schmerzen, konnte aber ein Lächeln nicht unterdrücken, das sich in ihre Mundwinkel schlich, als sie sah, wie blass und wütend Nathan war.
Nathans Zorn kochte hoch. Noch nie in seinem Leben war er einer so frechen, unhöflichen und impulsiven Frau begegnet. Und das Schlimmste war, sie hatte ihn beleidigt. Das würde er nicht auf sich beruhen lassen. Er würde sie dafür bezahlen lassen. Er hob den 1-Dollar-Schein auf, bevor ihm klar wurde, dass er keinerlei Informationen über sie hatte. Weder ihren Namen noch ihre Adresse. Er rief den Clubmanager an, aber der hatte keine Informationen über sie, was nur bedeuten konnte, dass sie nicht reich war.
Nur die Reichen und Berühmten hatten eine registrierte Mitgliedschaft. Nathan biss die Zähne so fest zusammen, dass er sich auf die Zunge biss. Niemand wagte es, Nathan zu widersprechen, geschweige denn, ihm eine Beleidigung ins Gesicht zu schleudern. Er würde sie finden, tot oder lebendig. Er tätigte einen Anruf und gab die Beschreibung durch. Er wusste, dass sich vor diesem Mann nichts und niemand verbergen konnte …
Mercedes saß in ihrem Auto in der Tiefgarage. Tränen, die sie zurückgehalten hatte, begannen über ihr Gesicht zu strömen. Sie fühlte sich so beschämt und gedemütigt, aber wenigstens hatte sie es ihm mit gleicher Münze heimgezahlt. So ein arroganter Kerl. Sie fuhr zur Apotheke und besorgte sich die Pille danach, die sie sofort einnahm. Sie holte sich auch Medikamente gegen ihre Gliederschmerzen.
Alles, was sie wollte, war nach Hause zu gehen, sich in die Badewanne zu legen und ihre schmerzenden Muskeln zu entspannen, etwas zu essen und den Tag zu verschlafen. Sie wollte nicht mehr darüber nachdenken, über gar nichts mehr. Nicht einmal über ihren kranken Bruder. Doch als sie nach Hause kam, war sie schockiert von dem, was sie sah.
