Schatten der Barmherzigkeit
Nach dem Kampf lag das Handelsschiff in Trümmern. Gebrochene Körper, sowohl tote als auch vor Schmerz windende, lagen verstreut über die blutverschmierten Planken. Zersplittertes Holz und verstreute Ladung rollten mit dem Schwanken des Schiffs. Der beißende Geruch von Schießpulver hing schwer in der salzgetränkten Luft, scharf genug, um mir den Hals zu reizen. Ich zwang mich, nicht zu schwanken. Maeve bewegte sich bereits unter den Verwundeten, ihre ruhigen Hände führten mich durch das Chaos. Ihr Gesicht war gelassen, ihre Stimme fest, während sie Stoffstreifen riss, Wunden verband und leise Anweisungen murmelte. Ich folgte ihr so gut ich konnte, holte Wasser, hielt Verbände fest, umklammerte blutige Arme, bis meine Finger taub wurden. Meine Hände zitterten, aber ich schluckte die Angst hinunter. Hier war kein Platz für Schwäche. Nicht jetzt.
Die überlebenden Handelsschiffer wurden zusammengetrieben, die Handgelenke gefesselt, die Augen huschten wie die von in die Enge getriebenen Tieren. Einige starrten trotzig, andere zitterten vor Angst. Sie waren Händler, keine Kämpfer, in Blackthorns Sturm hineingezogen. Dieses Gefühl kannte ich nur zu gut, das hilflose Gewicht, der Gnade eines anderen ausgeliefert zu sein. Mitgefühl drehte sich in meiner Brust, doch ich drückte es hinunter. Mitgefühl war ein gefährlicher Luxus. Ich band einen Verband um einen Jungen, der nicht älter als sechzehn sein konnte, und hob dann den Kopf, als Captain Blackthorn ins Blickfeld trat. Seine Schritte trugen eine Autorität, die das Deck zu seinem eigenen machte. Dunkle Augen glitten mit chirurgischer Präzision über die Szene. Er hielt bei Maeve inne und nickte kurz.
„Wie geht es ihnen?“ Seine Stimme war knapp, hart wie Eisen.
„Einige werden leben“, antwortete Maeve, ohne aufzusehen. „Andere nicht. Wir haben getan, was wir konnten.“
Blackthorns Kiefer zuckte, aber er sagte nichts. Sein Blick richtete sich auf mich, scharf wie Stahl.
„Du hast gute Arbeit geleistet, Isabella.“
Mein Herz machte einen verräterischen Sprung bei seiner Anerkennung, aber ich brachte heraus: „Danke, Captain.“
Er ging an mir vorbei zu dem Handelskapitän, einem stämmigen, ergrauten Mann, der fest zwischen zwei Piraten gehalten wurde. Schweiß rann über das Gesicht des Händlers, seine Fäuste waren geballt, obwohl seine Stimme zitterte.
„Captain Blackthorn“, sagte er und neigte trotz seines Trotzes den Kopf. „Bitte, haben Sie Erbarmen. Wir sind nur bescheidene Händler. Wir wollen Ihnen nichts Böses.“
Blackthorns Augen verdunkelten sich, unergründlich.
„Erbarmen“, wiederholte er leise, fast spöttisch. „Eine seltene Münze in diesen Gewässern.“ Er neigte den Kopf. „Ich bin nicht ohne Vernunft. Wir nehmen, was wir brauchen. Du und deine Männer werden ausgesetzt. Das ist mein Wort.“
Die Schultern des Händlers sanken, Erleichterung kämpfte mit Misstrauen in seinen Augen. „Danke.“
Mit einer kurzen Geste begannen Blackthorns Männer ihre Arbeit. Die Crew bewegte sich wie eine gut geölte Maschine, schleppte Fässer, Kisten und Säcke über die Lücke zur Black Serpent. Die Sonne neigte sich dem Horizont entgegen und malte das Deck in feuer-goldenes Licht, als die Arbeit beendet war. Ein kleines Boot wurde ins Wasser gelassen, bestückt mit gerade genug Nahrung und Wasser, um den nächsten Hafen zu erreichen. Der Handelskapitän verweilte einen Moment, sein Blick auf Blackthorn gerichtet.
„Sie haben heute unser Leben verschont, Captain Blackthorn“, sagte er. „Dafür bin ich dankbar. Karma hat eine Art, die Waage auszugleichen.“
Blackthorns Gesicht rührte sich nicht. „Wir werden sehen. Gute Reise.“
Das Boot stieß ab, die Silhouetten der Seefahrer schwanden gegen die untergehende Sonne.
„Isabella.“ Maeves Stimme zog mich zurück. „Komm. Wir kehren zur Serpent zurück.“
Erschöpfung zog an meinen Gliedern, als ich ihr folgte. Die Piraten entfalteten bereits die Segel, ihre Stimmen bellten Befehle in den aufkommenden Wind. Ich trat auf das Deck der Serpent, vorsichtig vor jedem Blick. Einige Piraten sahen mich neugierig an, andere mit kalter Gleichgültigkeit. Keiner mit offener Feindseligkeit. Für den Moment war das genug. Blackthorn stand auf dem Achterdeck und beriet sich mit seinem Ersten Maat, James. Als ihr Gespräch endete, suchte Blackthorns Blick wieder nach mir.
„Isabella“, sagte er, sein Tonfall undurchschaubar. „Ein Wort.“
Ich gehorchte und folgte ihm zum Heck, wo das Meer unter uns flüsterte, stetig und endlos. Er lehnte sich an die Reling, seine Augen verfolgten den Horizont.
„Du hast heute einen klaren Kopf bewahrt“, sagte er schließlich. „Befehle befolgt. Das ist mehr, als ich von einigen meiner erfahrenen Crew sagen kann.“
„Danke, Kapitän“, murmelte ich, unsicher.
Sein Blick huschte zurück zu mir, abwägend. „Du hast Geist, Mädchen. Aber allein der Geist wird dich nicht am Leben halten. Du wirst lernen zu kämpfen, dich zu verteidigen. Maeve wird dich trainieren. Du wirst tun, was befohlen wird. Verstehst du?“
„Ja, Kapitän.“
„Gut.“ Er richtete sich auf. „Du wirst in meine Kabine zurückkehren. James wird dich dorthin bringen.“
Ich folgte James über das schwankende Deck. Jeder Schritt passte sich dem unruhigen Rhythmus des Schiffes an, ein Tanz, den ich noch nicht gemeistert hatte. Einmal stolperte ich und klammerte mich an die Reling, woraufhin James lachte.
„Du wirst bald deine Seebeine finden“, sagte er leicht, beinahe freundlich.
Ich nickte, schweigend. Als wir die Tür des Kapitäns erreichten, stieß James sie auf. Die dunkle Kabine roch nach Salz, Teer und etwas Düsterem – Geheimnisse, die in das Holz eingedrungen waren. Die Tür schloss sich hinter uns mit einem festen Knall.
„Es tut mir leid wegen des Verhaltens meines Bruders“, sagte James schließlich, seine Stimme gedämpft vor Bedauern. „Er kann… grausam sein.“
„Es liegt nicht an dir, sich dafür zu entschuldigen“, sagte ich leise.
Bevor mehr gesagt werden konnte, schwang die Tür weit auf. Blackthorn füllte den Rahmen wie ein Schatten.
„Das wäre alles, James“, befahl er.
James neigte den Kopf und ging. Das Schweigen verdichtete sich, als Blackthorns Blick sich auf mich heftete.
„Du hast dich heute gut geschlagen, Isabella“, sagte er und trat näher.
Ich versuchte nicht zurückzuzucken, als seine Arme sich um mich schlossen und mich gegen die harte Linie seines Körpers zogen. Der Duft von Blut und Schießpulver haftete an ihm. Ein Stöhnen entwich meinen Lippen, als er mich gegen die Wand stieß. Schmerz schoss durch meinen Rücken, immer noch roh von den Peitschenhieben der letzten Nacht.
„Dich unter meiner Crew zu sehen“, murmelte er, seine Stimme dunkel und hungrig, „hat mich nach deinem Körper verlangen lassen. Du wirst für deinen Dienst heute belohnt.“
Mein Puls raste. „Was willst du von mir, Meister?“
Sein Lächeln war langsam, raubtierhaft. Er strich mit seinen Fingern über mein Schlüsselbein, hinterließ dabei Hitze und Angst gleichermaßen.
„Ich habe etwas für dich besorgt.“
Er ging zu einer Truhe, zog ein Bündel heraus und schüttelte es lose. Feine Spitze schimmerte im Laternenlicht, ein zartes Negligé, so blass wie Mondlicht, unanständig in seiner Weichheit. Mein Magen wurde kalt.
„Ich erwarte, dass du das heute Abend trägst“, sagte er. „Wir werden zusammen essen. Du wirst so aussehen, wie du an meinem Tisch aussehen solltest.“
Meine Hände zitterten, als ich das Kleidungsstück nahm. Ablehnen war keine Option. „Wie du wünschst, Meister.“
Ich zog mich ins angrenzende Waschzimmer zurück. Die Spitze glitt über meine Haut wie eine Falle, die sich als Seide verkleidete. Dünne Träger kreuzten meine Schultern, der Ausschnitt war gewagt, das Mieder mit einem Satinband geschnürt. Es schmiegte sich an mich auf eine Weise, die mich nackt und bloß fühlen ließ. Ich holte tief Luft, stählte mich und trat zurück in die Kabine. Blackthorns Augen wanderten über mich, sein Ausdruck undurchschaubar, abgesehen von einem Hauch von Zufriedenheit.
„Wunderschön“, murmelte er. „Setz dich.“
Ich gehorchte und setzte mich auf den Stuhl gegenüber von ihm. Er schenkte Wein in zwei Zinnbecher und schob einen zu mir rüber.
„Heute Abend“, sagte er, „reden wir.“
Ich hob den Becher, meine Finger angespannt um das Metall. „Wenn ich mich weigere?“
Sein Lächeln war scharf. „Dann wirst du hungern.“





























































































