Warum passiert dieser Tag einfach immer wieder?
Lola – 16:00 Uhr
Lola joggte die Treppe zu ihrer Wohnung hoch, der Rucksack hüpfte auf ihrem Rücken, die Schlüssel fest in einer Hand, ihr Gehirn kreiste in dutzenden Richtungen. Kaffee, Miete, Russen, oh – und der Mann, den ich vielleicht aus Versehen entführt habe.
Sie ging wie immer an Baba Yagas Tür vorbei –
Nur um stehen zu bleiben, als diese sich öffnete und die rauh-honige Stimme rief:
„Na, na, na. Schau mal, wer hier ihr jämmerliches kleines Hinterteil nach Hause schleppt.“
Scheiße.
Sie drehte sich um. „Hallo, Baba Yaga.“
Die Frau trat in den Flur, gekleidet in einen „World’s Okayest Grandma“-Kapuzensweater, rosa flauschige Hausschuhe, und nippte an einer Tasse mit der Aufschrift „Probably Whiskey“. Ihre Locken waren ein Schlachtfeld voller Haarnadeln, und ihre Augen funkelten, als hätte sie darauf gewartet, zuzuschlagen.
„Ich habe dir heute Morgen etwas Tee gebracht“, sagte Baba süß. „Habe meinen Ersatzschlüssel benutzt. Wie eine gute Nachbarin.“
Lolas Magen sank. „Du… bist in meine Wohnung gegangen?“
„Oh, werd nicht nervös. Ich habe gesehen, was du an dein Bett gebunden hast.“ Ein Schluck. Ein Grinsen. „Und lass mich dir sagen, kleines Mädchen… endlich.“
Lola verschluckte sich. „Es ist nicht das, wonach es aussieht!“
„Wonach sah es denn aus? Denn für mich sah es wie ein sechs Fuß großer Gott mit Mordlust in den Augen aus, gefesselt mit Lavendel-Seil.“
„Ich wollte ihn nicht entführen! Ich weiß nicht, was los ist!“
Yaga schnaufte so heftig, dass beinahe Tee aus ihrer Tasse schwappte. „Bester Satz der Woche.“
„Ihm geht’s gut. Lebendig. Wahrscheinlich wütend.“
„Er hat mich gebeten, ihn loszubinden. Sehr höflich. Ich habe ihm gesagt, nein.“ Sie nippte wieder. „Nicht mein Zirkus. Nicht mein bettlägeriger Muskelprotz.“
Lola bedeckte ihr Gesicht.
Babas Ton wurde weicher. „Hey. Alles okay, Käfer?“
Ein Achselzucken. Ein Nicken. Noch ein Achselzucken.
„Er ist gefährlich“, sagte Yaga. „Nicht schlecht. Stille Wasser, ruhige Lunte. Aber wenn er sich bewegt, wird es absichtlich sein.“
Lolas Kehle wurde trocken.
„Er sah nicht verängstigt aus. Er sah… neugierig aus. Als wärst du ein Rätsel.“
„Das ist… zutreffend.“
Yaga küsste ihre Schläfe. „Wenn er ein Geschenk ist, behalte ihn. Wenn er eine Falle ist, brich ihm verdammt nochmal die Beine. Ich habe ihm Zitronenkuchen und eine Saftbox dagelassen. Später gibt’s Eintopf.“
Die Tür schloss sich, und Lola blieb auf der Treppe erstarrt stehen.
Tief durchatmen. Du hast Schlimmeres gemeistert. …Noch nie so etwas.
In dem Moment, als sie ihre Tür öffnete, traf sie der Duft – Zitrus und Hitze, Chaos klebte an den Wänden. Der Geruch von „Hoppla, ich habe einen Mann entführt, der mich in zwei Hälften brechen könnte“.
Sie drückte ihre Stirn gegen das Holz. Du hättest ihn losbinden können, bevor du gegangen bist, Idiotin. Aber nein – du hast ihn gefesselt gelassen wie eine Billig-Domina mit Bindungsängsten.
„Du bist zurück“, kam eine tiefe, wütende Stimme.
Sie sprang. „Jesus – musst du reden wie ein Bond-Bösewicht?“
Im Schlafzimmer war er immer noch da. Gefesselt. Starrend. Schweigend.
Nur beobachtend.
Und irgendwie war das schlimmer.
„Willst du was sagen oder einfach so lange starren, bis meine Seele explodiert?“ fragte sie.
„Wo zum Teufel warst du?“
„Arbeiten.“
„Du hast mich hier gelassen. Gefesselt. Allein.“
„Du sagst das, als wärst du nicht furchteinflößend.“
„Ich bin derjenige, der gefesselt ist.“
„Genau.“
Seine Nasenflügel blähten sich.
Unfair. Wut sollte nicht mit Wangenknochen kommen.
Sie drehte sich zu ihrem Schreibtisch. „Baba Yaga sagte, du warst unhöflich.“
„Sie hat mir Eier gefüttert und mich verhört, als würde ich ihre Tochter heiraten.“
„Ja, das macht sie.“
„Und dann ist sie gegangen. Ohne mich loszubinden.“
„Gut, dass sie das nicht getan hat. Du bist immer noch ein potenzieller Mörder.“
„Du denkst, ich mache Urlaub als Mörder?“
„Könnte sein. Oder ein Auftragskiller. Oder ein Kulttyp mit großartigen Hautpflege-Genen.“
„Ich bin nicht Teil eines Kults.“
„Das würde ein Kulttyp sagen.“
Er zog an den Seilen, die Muskeln spannten sich unter der Haut. „Was muss ich tun, damit du mich losbindest?“
„Zeit. Vielleicht ein Hintergrundcheck.“
„Du könntest mich wenigstens ansehen, wenn du mich beleidigst.“
Sie drehte sich langsam um. Fehler. Er grinste.
Ihre Augen wanderten – Kiefer, Schultern, die Seile, die sich in ihn gruben, als würden sie sie herausfordern, sie zu lockern.
Er sah es.
Sie sah, dass er es sah.
„Ich habe nicht gestarrt“, stieß sie hervor.
„Du hast gestarrt.“
„Ich habe die Knoten überprüft.“
Sein Lachen war tief, gefährlich. „Du bist wirklich etwas Besonderes.“
Sie rückte näher. „Wenn ich dich losbinde, wirst du mich dann umbringen?“
Sein Blick glitt über sie. „Kommt drauf an. Wirst du mich wieder betäuben?“
Sie zeigte mit dem Finger. „Ich habe es nicht getan! Gino hat mich betäubt! Hat mir ein Getränk gegeben, und ich bin hier mit dir aufgewacht.“
Ein Flackern über sein Gesicht.
„Du kennst Gino.“
„Wir hatten… Sitzungen.“
Seine Augen verengten sich.
„Ich bin Tätowiererin, keine Sexarbeiterin“, schnappte sie.
Seine Lippen zuckten. „Habe ich nicht gesagt.“
Sie stampfte in die Küche. Seine Stimme hielt sie auf.
„Lola.“
Ihr Herz sprang. Gott, wie sagt er meinen Namen so?
„Was?“
„Danke.“
Sie blinzelte. „Wofür?“
„Für das Kissen.“
„…Erwähne es nicht.“
Sie kam zurück mit dem einzigen essbaren Ding in ihrem Kühlschrank – Key Lime Pie Joghurt.
„Du musst hungrig sein.“
„Ja.“
Sie fütterte ihn mit einem Löffel. Er kaute, als würde es ihn beleidigen.
„Also. Gino.“
Sie blinzelte. „Was ist mit ihm?“
„Du hast gesagt, es sei seine Schuld.“
„Ja. Er ist ein Kunde. Regelmäßig. Redet zu viel, aber harmlos. Dachte ich jedenfalls.“
„Du dachtest?“
Sie seufzte. „Er hat mich überzeugt, zum Burning Man zu gehen. Sagte, ich müsste Dampf ablassen. Dumm, nicht gefährlich.“
„Seid ihr eng?“
„Nicht wirklich. Arbeitsfreunde. Festivalbekannte mit passenden Leuchtstäben.“
„Vertraust du ihm?“
„Das habe ich nicht gesagt.“ Noch ein Löffel. „Aber er war nie zwielichtig. Bis jetzt.“
Enzos Kiefer zuckte. „Er hat mich nicht erwähnt?“
„Hätte er das tun sollen?“
„Er ist mein Cousin. Arbeitet für mich.“
„…Ja, das habe ich jetzt verstanden.“
„Er hat meinen Namen nie gesagt?“
„Er hat etwas darüber gesagt, für seinen Cousin zu arbeiten, aber ich habe an Kaffeeläufe gedacht. Oder vielleicht OnlyFans-Management.“
Enzo stieß ein trockenes Lachen aus. „Gino managt nichts.“
„Offensichtlich.“
Er studierte ihr Gesicht, als wollte er es aufschneiden. Sie bluffte nicht.
Sie warf den Joghurtbecher weg. „Du wirst das nicht loslassen, oder?“
„Es schmeckt wie Bestrafung.“
„Es schmeckt wie Zitrusfreude.“
„Es schmeckt wie eine Key Lime ohne Würde.“
Sie lächelte. Er nicht. Aber er sah weniger mörderisch aus.
Die Stille dehnte sich, Spannung summte.
„Lola“, sagte Enzo, mit tiefer Stimme.
Ihr Herz sprang. „Ja?“
Er räusperte sich und deutete mit dem Kinn auf seine gefesselten Hände.
„Wir haben lange genug darum herum getanzt. Ich muss auf die Toilette.“



































































































































